top of page
Writer's pictureArno Katz

Was ist das wahre Ich?

Vor kurzem habe ich ein Radiointerview gegeben, in dem es darum ging, was das wahre Ich ist und wie wir es finden. (Um den Ausschnitt zu hören, der gesendet wurde, klicken Sie auf den Link unter dem Hauptmenü links unten.) Ich möchte hier noch einmal ausführlich darlegen, was ich unter dem wahren Ich verstehe, da dieses ein Kernkonzept meiner Arbeit ist.


Die wichtigste Erkenntnis ist die, dass das wahre Ich nicht erst gefunden werden muss, weil es immer schon da ist. Meistens sind wir uns allerdings dessen nicht bewusst. Das wahre Ich ist das, was wahrnehmen und spüren kann, was gerade in mir vorgeht. Angenommen ich spüre Traurigkeit in mir. ICH bin derjenige, der die Traurigkeit hat. Die Traurigkeit ist da und ICH spüre sie. Dieses wahrnehmende, spürende Ich bleibt konstant und unveränderlich das ganze Leben über. Es ist immer im Hintergrund. 


Die Inhalte, die ich in mir wahrnehmen kann, wie etwa die Traurigkeit im Beispiel oben, sind Teile meines Ichs. Sie gehören auch zu mir, sind aber nicht konstant und können sich recht schnell verwandeln, wenn ich ihnen Aufmerksamkeit schenke und eine Beziehung zu ihnen aufbaue. Bewusstseinsinhalte, die immer wiederkehren und unveränderlich erscheinen, sind so, wie sie sind, weil sie nie genug Aufmerksamkeit bekommen haben und nie durch den für Focusing typischen Prozess geführt wurden. Alles in uns kann sich wandeln, auch Inhalte, die von unserer Gesellschaft als pathologisch etikettiert werden, wenn wir einen inneren Raum schaffen, in dem sie da sein und atmen dürfen, und wenn wir ihnen mit freundlichem Interesse und Empathie begegnen.


Das, was in uns vorgeht, befindet sich ständig im Prozess. Es ist nicht konstant. Das, was den Prozess wahrnimmt, unser wahres Ich, ist immer da und konstant. Focusing besteht darin, dass dieses Ich seine Wahrnehmung auf den inneren Prozess lenkt und in Beziehung zu ihm tritt, wodurch der innere Prozess gefördert wird und in Fluss gerät, und dieser Fluss geht immer in Richtung Heilung und größerer Ganzheit.


Natürlich könnte man auch sagen, dass das wahre Ich das Zusammenspiel von Wahrnehmendem und Wahrgenommenem ist. Das Entscheidende dabei ist in jedem Fall, dass wir uns nicht mit dem, was wahrgenommen wird, identifizieren. Wenn wir uns überhaupt mit irgendetwas identifizieren, dann nur mit dem Ich, das größer ist und das alles in uns spüren und wahrnehmen kann. Schon das allein kann zu großer Erleichterung führen. Ich bin nicht der ganze Kram, der in mir vorgeht, sondern derjenige, der all das wahrnimmt.


Das wahrnehmende Ich ist das wahre Ich und wir brauchen es nicht erst zu finden, weil es immer schon da ist. Wir können es aber sehr wohl stärken, indem wir uns immer wieder seiner bewusst werden.


Comments


bottom of page